Arbeitsrechtler halten Schlichtungszwang vor Streik für zulässig

Der auf sechs Tage im Januar 2024 angekündigte Bahn-Streik der GDL schürt Forderungen in Politik und Wirtschaft nach einem Regelwerk, das Tarifpartner an den Verhandlungstisch zwingt. Ein Arbeitskampf in Deutschland ist nicht gesetzlich geregelt.

Das könnte man aber ändern, sagen Juristen, trotz des Grundrechts der Koalitionsfreiheit im Grundgesetz. Verfassungsrechtlich sei das möglich, politisch müsse es gewollt sein, sagte der Direktor des Instituts für Arbeitsrecht der Universität Bonn, Gregor Thüsing, der FAZ.

In manchen Branchen gibt es Vereinbarungen von Arbeitgebern und Gewerkschaften, dass sie mit Hilfe unbeteiligter Dritter einen Einigungsversuch unternehmen, wenn sie nicht weiterkommen am Verhandlungstisch. Eine Zwangsschlichtung, mit der die Tarifparteien zur Annahme eines Einigungsvorschlages gezwungen würden, wäre gesetzlich aber kaum machbar. Anders wäre es bei einer Pflicht, eine Schlichtung wenigstens zu versuchen. Laut Clemens Höpfner, geschäftsführender Direktor des Instituts für Arbeits- und Wirtschaftsrecht der Universität Köln, gibt es dagegen aus verfassungsrechtlicher Sicht überhaupt kein Problem, ein Schlichtungsverfahren auch mit Einlassungszwang zu schaffen. Einlassungszwang bedeutet, dass sich die Beteiligten auf einen Schlichtungsversuch einlassen müssen, wenn nur eine der Tarifparteien die Schlichtung will. Sie sind aber nicht gezwungen, das Schlichtungsergebnis anzunehmen.

Deshalb plädiert Prof. Thüsing für ein Arbeitskampfgesetz, das in Bereichen kritischer Infrastruktur wie Bahn oder Krankenhäusern einen obligatorischen Schlichtungsversuch vorschreibt. An dessen Ende stünde die Annahme des Spruchs oder der Arbeitskampf. Das sei kein Eingriff in die Koalitionsfreiheit, sondern eine Ausgestaltung des Grundrechts, die auf Interessen der Öffentlichkeit Rücksicht nehme. Gestreikt werden könnte also weiterhin. Eine Gewerkschaft hätte dann aber keinen leichten Stand, räumt Thüsing ein. Man streike dann gegen einen Schlichterspruch, von dem die Öffentlichkeit sagen wird, das halten wir für angemessen. Das hat laut Thüsing schon einen sehr hohen faktischen Druck.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 06.02.2024 14:01
Quelle: www.faz.net v. 25.1.2024

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