Aktuell in der ZKM

Die Wirkung von Täuschungen in Verhandlungen (Jung, ZKM 2024, 76)

In der Praxis unternehmerischer Vertragsverhandlungen werden relativ häufig irreführende Taktiken – Bluffs, Täuschungen oder Lügen – eingesetzt. Der Täuschende zielt darauf ab, das Verhandlungsergebnis einseitig zu beeinflussen. Spiegelbildlich besteht die Herausforderung für sein Gegenüber darin, mit der Täuschung umgehen zu müssen. Dieser Beitrag fokussiert sich auf die moralische Bewertung von Täuschungen als zentrale Stellschraube in Bezug auf die Entscheidung für oder gegen den Einsatz von Täuschungen und damit deren Praxisrelevanz sowie auf die Reaktion des Getäuschten.


I. Einleitung

II. Täuschungen in der Verhandlungspraxis

1. Wann täuschen Verhandler?

2. Wie häufig täuschen Verhandler?

3. Worüber täuschen Verhandler?

4. Wie wirken sich Täuschungen auf das Verhandlungsergebnis aus?

5. Wie gehen Verhandler mit Täuschungen um?

6. Wie werden Täuschungen moralisch bewertet?

III. Fazit


I. Einleitung

Täuschungen stellen in unternehmerischen Verhandlungen und in Mediationsverfahren eine Realität dar. Denn zum einen müssen Verhandler in jeder Situation für sich selbst neu entscheiden, ob sie Lügen in der Verhandlung einsetzen oder darauf verzichten möchten. Zum anderen besteht für sie das Risiko, von der jeweils anderen Partei getäuscht zu werden. Kommt es dann tatsächlich zu einer Täuschung und die getäuschte Partei deckt diese auf, stellt sich die Frage nach den Reaktionsmöglichkeiten. Kenntnisse über die Funktionsweise von Täuschungen sind deshalb für alle Verhandler von zentraler Bedeutung für den Verhandlungserfolg. In diesem Beitrag wird zunächst erörtert, welche Rahmenbedingungen die Tendenz zu lügen befördern (II. 1.). Im Anschluss daran wird dargelegt, dass Irreführungen in Verhandlungen häufig zum Einsatz kommen (II. 2.) und somit ein praxisrelevantes Thema darstellen. Getäuscht wird dabei über die verschiedensten Aspekte (II. 3.). Ziel des Täuschenden ist es, das Verhandlungsergebnis zu beeinflussen (II. 4.), während für die belogene Seite die Herausforderung darin besteht, mit der Täuschung bzw. dem Risiko einer Täuschung umzugehen (II. 5.). Grundlegend für das Verständnis von Lügen ist deren moralische Bewertung. Dieser Beitrag wird aufzeigen, dass sowohl die Entscheidung für den Einsatz von Täuschungen und damit deren Praxisrelevanz (Häufigkeit) als auch die Reaktion des Getäuschten u.a. maßgeblich von der moralischen Bewertung der Irreführung abhängt. Die moralische Bewertung stellt damit eine zentrale Stellschraube dar, um die Wirkweise von Täuschungen in Verhandlungen zu verstehen. Entsprechend stellt dieser Beitrag die Ergebnisse einer eigenen Studie zum Moralverständnis bezüglich Lügen vor (II. 6.). Der Fokus des Beitrags und der Studie liegt dabei auf aktiven Irreführungen durch die Parteien in unternehmerischen Vertrags- bzw. Mediationsverhandlungen. Täuschungen durch den Mediator oder Dritte werden ausgeklammert.

II. Täuschungen in der Verhandlungspraxis

1. Wann täuschen Verhandler?


Ob Verhandler Täuschungen nutzen, hängt von verschiedenen Rahmenbedingungen ab, die in zahlreichen Studien untersucht wurden. In Frage kommen Lügen dabei generell nur, wenn zwischen den Parteien Informationsasymmetrien bestehen. Darüber hinaus hängt der Einsatz von Bluffs bspw. davon ab, wie Verhandler die Täuschung aus ethischer Sicht bewerten. Wird eine Lüge vom Täuschenden als unethisch betrachtet, so sinkt grundsätzlich seine Bereitschaft, sie in der Verhandlung einzusetzen. Gleichfalls dürfte sich auch die (befürchtete) moralische Ablehnung durch die andere Seite auf die Täuschungsbereitschaft auswirken. Aufgrund der damit einhergehenden Bedeutung der moralischen Bewertung beider Parteien wird darauf unter Punkt II.6. noch einmal näher eingegangen. Daneben legen Studien nahe, dass sich Charakteristiken wie z.B. Alter, Geschlecht, Nationalität, Bildungsgrad und religiöse Einstellung auf den Einsatz von Lügen auswirken. Ob eine Person Täuschungstaktiken ablehnt, hängt zudem von ihrem Empathievermögen ab sowie davon, ob sie prosozial eingestellt ist. Allgemeiner formuliert gilt, dass die Täuschungsbereitschaft vom „moralischen Charakter“ des Verhandlers bestimmt wird. Zudem sollen selbstbewusste Verhandler eher zu Lügen neigen. Die Tendenz zur Unehrlichkeit kann ferner von der Branche, in der der Verhandler arbeitet, und der Unternehmenskultur bzw. der Kultur der Arbeitsgruppe beeinflusst werden. Darüber hinaus scheinen Personen mit mehr Verhandlungserfahrung häufiger zu bluffen. Ein weiteres zentrales Element stellen Erwartungen dar. Denn nimmt ein Verhandlungspartner an, dass die andere Seite täuschen wird, so tendiert er eher dazu, auch selbst Täuschungstaktiken einzusetzen. Ob eine Person lügt oder nicht, hängt außerdem davon ab, wie sehr sich eine mögliche Täuschung auszahlen würde. Darüber hinaus erhöht Zeitdruck das Risiko für Lügen. Gleiches gilt für Unsicherheit. Überdies kommt es darauf an, wen der Verhandler irreführen würde. So scheinen Frauen öfter getäuscht zu werden als Männer. Ferner neigen Personen eher zu unmoralischem Verhalten wie den Einsatz von Lügen, wenn sie als Gruppenmitglied auftreten. Darüber hinaus spielt das Verhältnis der Verhandler zueinander eine Rolle. Intuitiv erscheint es naheliegend, dass umso weniger geblufft wird, je enger und besser die Beziehung der Parteien ist. Jedoch konnten nicht alle Studien einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Freundschaft bzw. rapport und weniger Täuschungen nachweisen. Erscheint der Verhandlungspartner kompetent, sinkt allerdings die Bereitschaft ihn zu belügen. Daneben wirken sich Emotionen auf die Nutzung von Täuschungen aus. So erhöhen z.B. Ärger und Angst das Risiko, dass Bluffs eingesetzt werden. Umgekehrt tendieren Personen, die optimistisch eingestellt sind, seltener zu Täuschungen. Auch das Kommunikationsverhalten wirkt sich auf die Nutzung von Lügen aus. Direkte Fragen reduzieren bspw. die Wahrscheinlichkeit einer Täuschung durch Verschweigen. Gleichzeitig steigt jedoch das Risiko, vom Verhandlungspartner direkt angelogen zu werden. Es liegt dann höher als bei Verhandlern, die keine direkten Fragen nutzen. (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 09.07.2024 14:09
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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