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Systemische Aufstellungsarbeit als Konfliktreflexion - Wie Raumstruktur, Empathie und Sinninterpretation zusammenwirken (Kleve, ZKM 2024, 123)

In diesem Beitrag wird die Systemische Aufstellungsarbeit in ihrer Vorgehensweise und Wirksamkeit als wissenschaftlich fundierte Methodik beschrieben und erklärt. Am Beispiel eines Falls aus der Konfliktreflexion erfolgt die Veranschaulichung, wie mit Aufstellungen in präziser und nonverbaler Weise soziale Dynamiken sichtbar und hinsichtlich von Veränderungen angeregt werden können. Dafür sind die sensible Wahrnehmung von räumlichen Positionen, soziale Empathie- und Resonanzphänomene sowie die gemeinsame Kreation von sinnhaften Bedeutungszuschreibungen entscheidende Voraussetzungen.

A. Der Siegeszug Systemischer Aufstellungsarbeit
B. Ein Fallbeispiel: Das Startup und der Konzern
C. Struktur, Empathie und Interpretation – ein Erklärungsversuch
D. Die Aufstellung von Konflikten
E. Resümee – Systemische Aufstellungen als Königsweg der Konfliktanalyse


A. Der Siegeszug Systemischer Aufstellungsarbeit

Systemische Aufstellungsarbeit hat inzwischen eine über vierzigjährige Geschichte. In den 1980er Jahren hat insbesondere der ehemalige katholische Priester und Missionar in Afrika, Bert Hellinger, diese faszinierende Methode bekannt gemacht. Allerdings hat er das Aufstellen, das zu dieser Zeit vor allem hinsichtlich familiärer Themen in gruppentherapieorientierten Settings durchgeführt wurde, nicht erfunden, sondern bei der Hamburger Psychologieprofessorin Thea Schönfelder in den 1970er Jahren kennengelernt. Hellinger kommt das Verdienst zu, dass er das Aufstellen nicht nur popularisierte, sondern auch hinsichtlich der besonderen Methodik, Wahrnehmungsphänomene und Wirkungspotentiale pointiert beschrieben und erklärt sowie breit vermittelt hat.

Diese Verdienste dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Hellinger theoretische Haltungen und methodische Prinzipien vertrat, die nicht oder nur bedingt mit systemischen Grundsätzen kompatibel sind. Das bezieht sich etwa auf die bei Hellinger eher marginale Auftragsklärung im Vorfeld von Aufstellungen und auf seine Anmaßung, die Aufstellungen für seine Klienten interpretieren zu können. Im Gegensatz dazu gehen wir mit der systemischen Haltung davon aus, dass es die Klienten selbst sind, die die Hoheit der Aufstellungsinterpretation besitzen, die sozusagen das letzte Wort hinsichtlich des Ergebnisses der jeweiligen Aufstellung haben.

Auch wenn Hellingers Arbeit seit den 1990er Jahren kontrovers diskutiert und vielfach problematisiert wurde, hat sich das Aufstellen enorm weit verbreitet. Inzwischen werden Aufstellungen in unterschiedlichen Kontexten und Settings verwendet, hat dieses Konzept zahlreiche methodische Differenzierungen und Weiterentwicklungen erfahren. So wird schon lange nicht mehr nur hinsichtlich von Fragen der Familiendynamik mit Aufstellungen gearbeitet, sondern auch bei Organisations- und Teamproblemen, bei grundsätzlichen Entscheidungsfragen in der Einzel- oder Gruppenarbeit sowie bei der Reflexion von unterschiedlichen sozialen Herausforderungen und Konflikten, etwa in Change‑, Veränderungs- bzw. Transformationsprozessen. Selbst der Test von wissenschaftlichen Modellen und die Erhebung von qualitativen Daten in der empirischen Sozialforschung ist mit Systemischen Aufstellungen möglich.

Diese weite Verbreitung der Methode resultiert nicht zuletzt aus der faszinierenden Möglichkeit, damit etwas von realen systemischen Dynamiken psychischer und sozialer Prozesse zu erfahren. Wir können mit diesem Verfahren Systeme hinsichtlich der Beziehungen zwischen ihren Elementen simulieren. Und diese Simulation wird in der Regel als äußerst wirklichkeitsnah und passend empfunden, so dass daraus mögliche Systeminterventionen abgeleitet werden oder sich neue Haltungen in der Reflexion und im Agieren mit systemischen Dynamiken ableiten lassen.

Das Phänomen, das diese Systemsimulation durch Aufstellungen ermöglicht, wird als Repräsentierende Wahrnehmung bezeichnet. Das bedeutet, dass Personen, die in Aufstellungen als Repräsentanten für Mitglieder bzw. relevante Elemente von realen Systemen stehen, Wahrnehmungen machen und diese artikulieren, die regelmäßig von Personen, die die simulierten Systeme aus eigener Erfahrung kennen, als äußerst passend und zutreffend bewertet werden. Im Folgenden soll dieses Phänomen zunächst an einem Fallbeispiel veranschaulicht werden (s. unter B.), um es sodann einem Erklärungsversuch zuzuführen (s. unter C.). Daran anschließend werden die Möglichkeiten, Systemische Aufstellungen als Methodik der Konfliktreflexion zu nutzen, an einem Aufstellungsformat, und zwar anhand der Tetralemma-Struktur skizziert (s. unter D.). Schließlich erfolgt ein Abschlussresümee, in dem diese Methodik gar als ein Königsweg der Konfliktanalyse bewertet wird (s. unter D.).

B. Ein Fallbeispiel: Das Startup und der Konzern
Systemische Aufstellungen rufen regelmäßig Erstaunen hervor, weil hier etwas möglich und sichtbar wird, was zunächst unserer Erwartung widerspricht, dass nämlich Menschen als Repräsentanten für Elemente von simulierten Systemen Wahrnehmungen machen und artikulieren können, die Maßgebliches über die Dynamiken von psycho-sozialen Systemen veranschaulichen. Das Erstaunen über solche Prozesse ist noch größer, wenn diese menschlichen Repräsentanten in den Aufstellungen für bestimmte Elemente stehen, aber ansonsten nichts Weiteres über ein aufgestelltes System und dessen Dynamik wissen. Allein die Relationen der Elemente zueinander und die dabei sich einstellenden Wahrnehmungen sind für die Repräsentanten zugänglich und werden verbalisiert. ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 26.08.2024 12:50
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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